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Wasserstoff – Retter der Energiewende?

Kann Wasserstoff unsere Energiewende retten? Oder erwarten wir mehr, als er leisten kann? Über die Vor- und Nachteile des Energieträgers H₂.
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Wasserstoff – Retter der Energiewende?

Kann Wasserstoff unsere Energiewende retten? Oder erwarten wir mehr, als er leisten kann? Über die Vor- und Nachteile des Energieträgers H₂.

Wasserstoff gilt als Energieträger der Zukunft und soll die Klimawende retten. Sogar als „Zauberstoff“ hat ihn der Spiegel schon mal betitelt. Er ist der große Hoffnungsträger unserer Zeit – aber wird er den Erwartungen auch tatsächlich gerecht?

Wasserstoff ist das häufigste chemische Element im Universum. Das farblose Gas ist Bestandteil fast aller chemischer Substanzen in der Organischen Chemie und Biochemie, kommt auf der Erde jedoch fast nur gebunden an andere Elemente vor.

Sowohl in der Industrie als auch in der Mobilität kann Wasserstoff als Energielieferant zur Dekarbonisierung eingesetzt werden und eignet sich sowohl für die zentrale als auch dezentrale Stromerzeugung. Er kann Energie gut speichern und transportieren, eignet sich aber auch hervorragend als Kraftstoff und hat außerdem den Vorteil, dass er überall lokal hergestellt werden kann. Man braucht lediglich einen Ausgangsstoff (z.B. Wasser, Biomasse, Erdgas, Kohlenwasserstoff, …) und Energie – viel Energie. Womit wir beim Knackpunkt der Thematik angekommen sind.

Die Farbenlehre des Wasserstoffs

Schon heute wird in der Industrie Wasserstoff verwendet, für seine Herstellung braucht es allerdings jede Menge fossiler Energie. Das ist nicht gerade klimafreundlich. Doch wie kommen wir zum grünen Wasserstoff? Nun, dazu muss man wissen, dass es verschiedene Herstellungsverfahren gibt, die alle eine unterschiedliche Klimabilanz aufweisen.

Grüner Wasserstoff

Grüner Wasserstoff entsteht durch die Elektrolyse von Wasser. Dafür wird ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energien verwendet. Somit ist dieses Herstellungsverfahren zu 100 % klimaneutral. In Deutschland gibt es mittlerweile mehr als 30 sogenannte Elektrolyseure, die grünen Wasserstoff herstellen.

Blauer Wasserstoff

Bei der Herstellung von blauem Wasserstoff wird CO₂ abgeschieden. Dieses gelangt allerdings nicht in die Atmosphäre, sondern wird gespeichert. Diesen Prozess nennt man Carbon Capture and Storage (CSS). Netto gesehen ist die Herstellung von blauem Wasserstoff also auch CO₂-neutral. Tatsächlich benötigt das Auffangen und Endlagern des Kohlenstoffdioxids so viel Energie, dass es unterm Strich gesehen klimafreundlicher wäre, es einfach entweichen zu lassen.

Türkiser Wasserstoff

Mittels einer thermischen Spaltung von Methan wird türkiser Wasserstoff hergestellt. Dabei entsteht kein CO₂, sondern fester Kohlenstoff. Bei diesem Verfahren benötigt der Hochtemperaturreaktor große Mengen an Energie. Kommen dabei ausschließlich erneuerbare Energien zum Einsatz und wird der entstandene Kohlenstoff gebunden, könnte man türkisen Wasserstoff ebenfalls als klimaneutral betrachten.

Grauer Wasserstoff

Grauer Wasserstoff wird aus fossilen Brennstoffen gewonnen, meistens aus Erdgas. Das dabei entstehende CO₂ entweicht ungenutzt in die Atmosphäre (ca. 10 Tonnen CO₂ pro 1 Tonne Wasserstoff). Dieses Herstellungsverfahren ist demnach das klimaschädlichste von allen, bisher aber auch das meistgenutzte.

Die Herstellung von Wasserstoff – vor allem von grünem – ist derzeit noch sehr teuer und somit nicht konkurrenzfähig. Das ist bei neuen Technologien jedoch nichts Ungewöhnliches. Wir erinnern uns noch an den Siegeszug der Solarenergie. Diese war noch vor wenigen Jahren so teuer, dass man sie sich kaum leisten konnte. Durch die Weiterentwicklung der Technologien und dem Ausbau der Anlagen weltweit, wurde sie nach und nach günstiger und ist heute eine echte Alternative zu fossiler Energie.

Dekarbonisierung energieintensiver Sektoren

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Klimawende schön und gut – doch vor allem für die energieintensiven Industriezweige muss eine wettbewerbsfähige Lösung gefunden werden, und die findet sich derzeit weder in der Windkraft noch in Solarenergie. Rettet der Wasserstoff möglicherweise auch unsere Industrie?

Allein der Industrieriese thyssenkrupp Steel wird laut eigenen Angaben langfristig jährlich mehr als 700.000 Tonnen Wasserstoff benötigen. Für dessen Herstellung wären 3.000 Windräder ausgelastet. 2019 gab es in ganz Deutschland gerade mal 30.000 Onshore-Windenergieanlagen. Bedenkt man, wieviel Energie die gesamte Industrie, dazu die Mobilität und die Privathaushalte verbrauchen, bleibt eine flächendeckende Versorgung mit grünem Wasserstoff ohne massiven Ausbau regenerativer Energien utopisch.

Daraus ergeben sich klare Forderungen der Industrie an die Politik:

  • ein regulativer Rahmen für den Bezug von Wasserstoff
  • massiver Ausbau von erneuerbaren Energien für die Herstellung von grünem Wasserstoff
  • Suche nach Importvarianten
  • schnelle Genehmigungsverfahren baulicher Anpassungen der Industrieanlagen

Neben Industrieunternehmen setzt aber auch die Automobilbranche verstärkt auf den großen Hoffnungsträger Wasserstoff. So hat die Stadt Wiesbaden beispielsweise seit Anfang Oktober den ersten Wasserstoffbus in seiner ÖPNV-Flotte, 9 weitere sind bereits bestellt. Nach und nach soll die gesamte Busflotte umgestellt werden, wofür die Kommune 1,95 Millionen Euro an EU-Fördergeldern erhalten hat.

Warum Wasserstoff statt Elektro? Weil Wasserstoff 2- bis 3-mal effizienter ist als herkömmliche Motoren. Und das einzige Abfallprodukt, das dabei entsteht, ist Wasser. Durch die Reaktion von Wasserstoff und Sauerstoff in der Brennstoffzelle wird Energie gewonnen, die direkt den Elektromotor speist. Überschüssige Energie kann in einer Batterie zwischengespeichert werden.

Nationale Wasserstoffstrategie

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Dass wir uns auf den grünen Wasserstoff konzentrieren, ist ja logisch. Schließlich möchte Deutschland bis 2050 CO₂-neutral werden. Und deshalb hat die Bundesregierung am 10. Juni 2020 eine Nationale Wasserstoffstrategie (NWS) mit folgenden Inhalten verabschiedet:

  • Klimafreundlich hergestellter Wasserstoff soll als Schlüsselelement der Energiewende etabliert werden.
  • Regulative Voraussetzungen für den Markthochlauf sollen geschaffen werden, vor allem für Bereiche, die sich nicht anders dekarbonisieren lassen.
  • Die Kosten für die Umsetzung neuer Wasserstoff-Technologien müssen langfristig gesenkt werden.
  • Deutsche Unternehmen, vor allem in energieintensiven Sektoren, müssen gestärkt und international wettbewerbsfähig gemacht werden.
  • Die zukünftige nationale Versorgung mit grünem Wasserstoff muss gesichert werden. Dafür müssen Importpartner gefunden werden.

Moment, Importpartner? Wieso das denn? Wasserstoff kann doch lokal überall hergestellt werden. Ja, kann er. Für unseren grünen Wasserstoff brauchen wir aber die erneuerbaren Energien. Und diese können wir in Deutschland nicht in den Mengen produzieren, die für die Versorgung mit grünem Wasserstoff benötigt werden. Bis 2050 müssen wir vermutlich rund 45 Tonnen Wasserstoff jährlich importieren. Wie sich die Preisspirale bis dahin entwickelt, kann man heute noch nicht abschätzen.

Was also tun? Der Lösungsansatz der Bundesregierung sieht eine strategische Partnerschaft mit Westafrika vor. Dort unten gibt es nämlich genug Sonne, um Solarenergie in rauen Mengen zu produzieren und daraus Wasserstoff herzustellen, der dann nach Deutschland transportiert wird. Für die Herstellung eines Kilogramms Wasserstoff mittels Elektrolyse, benötig man etwa 9 Kilogramm Wasser. Dass in Westafrika jedoch Wasserknappheit herrscht, Wasser für die Elektrolyse mit erneuerbaren Energien benötigt wird, steht auf einem anderen Blatt Papier.

Wasserstoff-Leitprojekte

Um nun die Technologie dennoch weiter voranzutreiben, forciert das Bundesministerium für Bildung und Forschung derzeit drei große Leitprojekte.

Das H₂ Giga konzentriert sich darauf, die Elektrolyseure in die Serienfertigung zu bringen. Ziel ist es, bis 2030 Elektrolyse-Kapazitäten von 5 Gigawatt zu schaffen.

Im Leitprojekt H₂Mare wird Wasserstoff auf hoher See produziert. Die benötigte Energie kommt dabei direkt aus den Offshore-Anlagen. Somit kann auf eine Netzanbindung verzichtet werden, was die Herstellungskosten deutlich reduziert.

Mit dem Projekt TransHyDE soll schließlich eine Wasserstoff-Transport-Infrastruktur entwickelt werden. Dies wird vor allem beim Import notwendig, da die bestehenden Gas-Pipelines nur bedingt für den Transport von Wasserstoff geeignet sind.

Das Wasserstoffdorf Hypos ist ein 12.000 qm großes Versuchsfeld im Chemiepark Bitterfeld-Wolfen. Hier wird die Verteilung von Wasserstoff bis hin zum Anschluss an Privathaushalte simuliert und optimiert.

Darüber hinaus hat die Bundesregierung zahlreiche Förderprogramme und Initiativen ins Leben gerufen, wie das IPCEI (Important Projects of Common European Interest), zahlreiche Reallabore der Energiewende als Teil des 7. Energieforschungsprogramms, das Forschungsnetzwerk Wasserstoff mit über 1.000 Mitgliedern und das NIP (Nationales Investitionsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologien).

Die Nationale Wasserstoffstrategie erhofft sich so eine zügige Weiterentwicklung der Wasserstoff-Technologie und die Etablierung Deutschlands als führende Wasserstoff-Nation.

Fazit

Wasserstoff als Energieträger bietet große Vorteile. Mit der richtigen Technologie kann er klimaneutral hergestellt und eingesetzt werden. Somit trägt er zur Reduzierung von CO₂ in der Industrie bei, gilt als nachhaltiger Treibstoff für den Verkehrssektor und kann künftig sogar als Brennstoff zur Wärmeversorgung von Privathaushalten verwendet werden. Die bestehenden Strukturen können nach einer Umrüstung weiter genutzt werden und niemand muss sich komplett neu ausrichten.

Das Gas lässt sich außerdem in einen flüssigen Energieträger mit hoher Energiedichte transformieren und ist somit unabhängig von den Versorgungsengpässen bei stark schwankender regenerativer Stromerzeugung.

Das große Aber folgt dennoch: für die Herstellung von Wasserstoff ist jede Menge Energie nötig. Der Ausbau der erneuerbaren Energien müsste also massiv vorangetrieben werden, dennoch kann Deutschland seinen Bedarf nicht selbst decken und wird langfristig auf Importpartner zurückgreifen müssen.

Letztendlich wird Wasserstoff allein unsere Energiewende nicht retten können. Dennoch ist die Technik notwendig für die Dekarbonisierung in den Bereichen, für die erneuerbare Energien nicht oder nur bedingt in Frage kommen. Die energieintensive Industrie, der Flugverkehr oder die Schifffahrt zum Beispiel profitieren von dem „unsichtbaren Gold“. Um diesen Einsatz marktreif und wettbewerbsfähig zu gestalten, sind allerdings noch massive Investitionen notwendig.

Für die Versorgung von Privathaushalten oder auch im Verkehrssektor gibt es günstigere und praktischere Alternativen, die sicherlich auch noch optimiert werden können und müssen.

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Olga Wiesner

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