Klimaneutralität, Reduzierung des CO2-Ausstoßes und ressourcenschonende Wirtschaftskreisläufe – Nachhaltigkeit und Klimaschutz sind nicht erst seit Greta Thunberg in aller Munde. Spätestens mit den jüngsten Hochwasser-Katastrophen rückt die Dringlichkeit des Umweltschutzes ins Bewusstsein der Öffentlichkeit.
Diskutiert werden dabei Maßnahmen wie das Tempolimit auf deutschen Autobahnen, alternative Antriebe und eine energetische Bauweise. Dazu gehört auch die Überlegung, ab 2023 die Installation von Photovoltaik-Anlagen auf allen Neubauten verpflichtend zu machen. Vor allem im privaten Sektor wäre dies ein großer Schritt in Richtung erneuerbarer Energien.
In vielen Region wurde die Photovoltaik-Pflicht bereits eingeführt. In der Stadt Waiblingen zum Beispiel werden seit 2006 alle privaten Neubauhäuser mit PV-Anlagen ausgestattet, in Tübingen gilt dies seit 2018. In Hamburg wird sie im Jahr 2023 in Kraft treten, einige andere Großstädte wie Berlin prüfen eine entsprechende Verordnung.
Mit der Novelle des Klimaschutzgesetzes hat die Bundesregierung die Klimaziele verschärft und möchte Deutschland bis 2045 treibhausgasneutral werden lassen. 2020 wurden etwa 45 Prozent des verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Energien gewonnen. Bis 2030 sollen es 65 Prozent werden. Im Vergleich zu 1990 haben sich die Treibhausgasemissionen bereits um 40,8 Prozent reduziert.
Photovoltaik hat in Deutschland kein Nachfrageproblem
Nun denkt die Bundesregierung über eine bundesweite Pflicht für Solardächer bei Neubauten ab dem Jahr 2023 nach. Dahinter steht der Gedanke, dass die Kosten für die Anlage bereits in der Baufinanzierung kalkuliert werden können und eine teurere Nachrüstung vermieden wird. Eine allgemeine Pflicht, ohne Berücksichtigung der finanziellen Verhältnisse oder das persönliche Befinden, ist jedoch kritisch zu hinterfragen.
„Beim Neubau wird sowieso schon jeder Cent umgedreht“, weiß Jochen Schürer, Geschäftsführer der Greenovative GmbH. „Deswegen wird nicht in eine passende Photovoltaik-Anlage investiert, sondern in die günstigste und kleinste.“
Das Dachflächenpotenzial in Deutschland liegt bei ca. 170 GWp (Gigawatt Peak). Zum Stichtag 31. Dezember 2020 wurden gerade mal 20 Prozent davon ausgeschöpft. Es gibt also noch reichlich Luft nach oben.
Dennoch steht eine allgemeine PV-Pflicht für die gesamte Solarbranche im Widerspruch. Aktuell werden neue Anlagen über einen atmenden Deckel gefördert. Dieser bestimmt die Förderhöhe für erneuerbare Energien und reguliert den Zubau. Bei starkem Wachstum und hohen Zubauzahlen sinken die Vergütungssätze also schneller als bei einem langsamen Marktwachstum. Für Kunden würde dies bedeuten, dass sich eine neue Anlage deutlich langsamer amortisieren würde.
„Sowohl im privaten als auch im gewerblichen Bereich haben wir in Deutschland derzeit kein Nachfrageproblem“, sagt Schürer. „Vielmehr haben wir ein Problem mit politischen Hürden. Ich würde daher eine Heraufsetzung der Ausbauziele für wesentlich sinnvoller halten.“
Im Corona-Jahr 2020 wurden deutschlandweit insgesamt Anlagen mit einer Leistung von etwa 4,885 GWp neu installiert. Kleinanlagen bis zu 10 kWp, die vor allem für Batteriespeicher, Smart Home Lösungen und die Anbindung an die Ladeinfrastruktur benötigt werden, haben dabei den größten Zuwachs. Somit gehört die Solarbranchen zu denjenigen, die von der Corona-Krise bisher nicht berührt wurden.
Technische und rechtliche Herausforderungen bremsen Unternehmen aus
Im gewerblichen Bereich liegen die Hemmnisse, die eigene Stromversorgung über Photovoltaik zu beziehen, in der Komplexität, die im Bereich der Eigenstromversorgung vorherrscht. Ausschreibungspflichten, anteilige EEG-Umlagen, verpflichtende Direktvermarktung und weitere rechtliche Richtlinien machen den Unternehmern das Leben schwer.
Aber auch technische Herausforderungen, wie die Gebäudestatik, Verschattung oder die Anschlussbedingungen, lassen die Entscheider häufig zögern. Hier ist ein Fachpartner mit viel Erfahrung gefragt, der die Anlage auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnitten plant.
Auch die Frage nach einer autarken Stromversorgung bei nicht idealen Bedingungen, wie zum Beispiel nachts oder im Winter, können nur individuell beantwortet werden. Denn die Bandbreite der Technologie ist groß und sowohl die Anbindung als auch die Anwendungsfälle sind sehr komplex.
Die Speichertechnologien entwickeln sich stetig weiter und bieten vor allem Unternehmen die Möglichkeit, nicht genutzte Energie zu speichern und somit ihre Lastspitzen auszugleichen.
Angewandte Formen der Speicherung sind dabei die:
- elektrische Speicherung
- mechanische Speicherung
- elektrochemische Speicherung
- chemische Speicherung
- thermische Speicherung
„Im gewerblichen Bereich hat sich die Lithium-Ionen-Technik durchgesetzt und wird hier in den nächsten Jahren, aufgrund sinkender Investitionskosten, noch mehr Einzug halten“, erklärt Jochen Schürer, der mit seinem Unternehmen maßgeschneiderte Konzepte zur Energiekosten-Optimierung von Unternehmen umsetzt. „Das wiederum wird die autarke Versorgung und das Thema Peak Shaving wieder interessanter machen.“
Vor allem Energie-Komplettlösungen spielen im Bereich der Gewerbeimmobilien eine immer wichtigere Rolle. Darunter versteht man das perfekte Zusammenspiel einzelner Bausteine wie Photovoltaik-Eigenstromversorgung in Kombination mit Blockheizkraftwerken, Wärmepumpen, Batteriespeicher, Elektromobilität und die intelligente Netzanbindung.
Die Herausforderung an einem solchen Konzept ist die technische Machbarkeit und vor allem auch die Frage nach dem wirtschaftlichen Nutzen.
Konsequenter Ausbau nutzt Klima und Wirtschaft
Um diesen Herausforderungen und der stetig wachsenden Nachfrage gerecht zu werden, entwickelt sich der Markt rasant weiter. Die Speicherung günstig erzeugter Energie im Gewerbebereich in verschiedenen Cloud-Lösungen wird sich sicherlich auch auf dem Strommarkt bemerkbar machen und zu mehr Unabhängigkeit führen.
„Der weitere und konsequente Ausbau von Solarenergie würde nicht nur dem im Vordergrund stehenden Klima helfen, sondern eben auch der aktuell schrumpfenden Wirtschaft“, resümiert Schürer. Denn bereits eine jährliche Ausbauerhöhung von 5 Gigawatt würde etwa 30.000 neue Arbeitsplätze im Bereich Planung und Installation schaffen.
Statt einer Photovoltaik-Pflicht für neue Immobilien plädiert Schürer für eine Erhöhung des Ausbaukorridors im EEG (Erneuerbare-Energien-Gesetz), sodass die Hemmnisse – vor allem bei der Absicherung der Finanzierung – gelöst werden. Der Staat sollte sich mit klaren Signalen für den Ausbau erneuerbarer Energien einsetzen und konkrete Ziele formulieren. Mit Bürgerbeteiligungsmodellen und mehr Transparenz ließe sich außerdem die Akzeptanz in der Bevölkerung steigern.