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Rechne mit dem Ungewissen: Wie die resiliente Supply Chain Unternehmen hilft, sicherer in die Zukunft zu gehen

Mit dem „Rettungsring Resilienz“, der Kombination aus Transparenz, Diversität, Agilität und Dezentralisierung können Unternehmen sich und ihre Lieferketten für den Krisenfall vorbereiten. Wie das gelingen kann bzw. worauf Unternehmen sich auch in der nahen Zukunft vorbereiten sollten, dazu haben wir Prof. Dr. Stefan Recknagel befragt.
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Rechne mit dem Ungewissen: Wie die resiliente Supply Chain Unternehmen hilft, sicherer in die Zukunft zu gehen

Mit dem „Rettungsring Resilienz“, der Kombination aus Transparenz, Diversität, Agilität und Dezentralisierung können Unternehmen sich und ihre Lieferketten für den Krisenfall vorbereiten. Wie das gelingen kann bzw. worauf Unternehmen sich auch in der nahen Zukunft vorbereiten sollten, dazu haben wir Prof. Dr. Stefan Recknagel befragt.

Teil 2: Resilienz im Supply Chain Management

In unserem letzten Beitrag zur Resilienz für die Supply Chain haben wir ein Bild der aktuellen Lage gezeichnet und die Eckpfeiler aufgezeigt, die helfen, Lieferketten weniger störungsanfällig zu machen. Mit dem „Rettungsring Resilienz“, der Kombination aus Transparenz, Diversität, Agilität und Dezentralisierung können Unternehmen sich und ihre Lieferketten für den Krisenfall vorbereiten.

Wie das gelingen kann bzw. worauf Unternehmen sich auch in der nahen Zukunft vorbereiten sollten, dazu haben wir Prof. Dr. Stefan Recknagel, Vice President Part Logistics BSH Hausgeräte GmbH und Dozent an der technischen Fakultät der privaten Hochschule EurAka, befragt.

Supply Chain Management: Interview mit Prof. Dr. Stefan Recknagel

Herr Dr. Recknagel, Sie arbeiten bei BSH schon lange mit der resilienten Supply Chain und können zu diesem Thema aus der unmittelbaren Erfahrung sprechen. Wie lange müssen wir uns noch mit der Unberechenbarkeit als dem vieles dominierenden Faktor auseinandersetzen?

Ich schließe mich der verbreiteten Einschätzung an, dass sich die Störwirkungen durch COVID noch bis Ende nächsten Jahres hinziehen werden. Wir kennen derartige Effekte bereits aus der Vergangenheit als „Bullwhip“ oder „Peitschen-Effekt“, bei dem Nachfrageschwankungen sich über die mehrstufige Lieferkette aufschaukeln und verstärken. Neben diesen Aufschaukel-Effekten verursachte COVID jedoch auch tiefgreifende und bleibende Strukturveränderungen, die je nach Branche oder Wertschöpfungsart sehr unterschiedlich ausfallen.

Die derzeitigen Störungen haben viel weitreichendere Konsequenzen als „nur“ die fehlende Kalkulations- und Terminierungssicherheit. Welche Langzeit-Effekte wird es geben?

Die Diskussion um Kernkompetenzen, Wertschöpfungstiefe und Produktionsverlagerung hat einen neuen Charakter erhalten. Seitdem die Abhängigkeit von anderen Staaten (z. B. bei der Versorgung mit Masken) klar wurde, ist das Thema Versorgungssicherheit und Lieferantennähe wieder wichtiger geworden. Wir müssen uns auch wieder mehr mit dem Thema der Sicherheitsbestände auseinandersetzen.

Welche Unternehmen konnten die Krise gut meistern und was waren die Erfolgsfaktoren?
Hat es Unternehmen im Falle von Corona geholfen, ein Krisenkonzept oder einen Notfallplan in der Schublade vorzuhalten?

Wenn sich ein Unternehmen bereits mit Resilienz-Management auseinandergesetzt hat, dann hat sich das in der Krise sicherlich ausgezahlt. Von Vorteil waren klassische Ansätze wie Multi Sourcing, Arbeitszeitflexibilisierung, Springer-Qualifizierung und ein etabliertes Frühwarn- und Engpassmanagement. Wesentlich ist aber vor allem die Unternehmenskultur und das Change-Management, um Veränderungen schnell zu entscheiden und umzusetzen, als auch eine Fehlerkultur, die mutige Entscheidungen zulässt und auch mal eine Fehlentscheidung verzeiht. Das sind wesentliche kulturelle Voraussetzungen für die Agilität und Anpassungsfähigkeit an veränderte Rahmenbedingungen.
Klassische Resilienz-Konzepte beinhalten meistens eine Fülle an punktuellen Notfallplänen. Wir hatten für den Fall einer Pandemie auch 50 Packungen Tamiflu (Medikament gegen Influenza) und Masken für eine Woche auf Lager. Viel geholfen hat das leider nicht, aber entscheidend war hier die richtige Risikoeinschätzung und die Agilität, sich auf die Lage einzustellen.  

Warum tun sich viele Unternehmen so schwer, sich vom Ziel der “Rückversetzung in den Ursprungszustand” zu verabschieden und stattdessen die Chancen zu sehen, die ein permanentes Anpassen mit sich bringen?

Der Ursprungszustand spiegelt in der Erinnerung den Zustand des Gleichgewichts und hoher Ordnung wider.

Daher ist es also menschlich verständlich und bei einem funktionierenden Geschäftsmodell auch ein legitimes Ziel. Deshalb kommt der Begriff des „modifizierten“ Ursprungszustands der Wahrheit am nächsten, indem die Basis gleichbleibt und Schwachstellen ausgeräumt wurden.

Welche Faktoren sind derzeit die größte Herausforderung in der volatilen Marktumgebung und was erwartet uns in naher Zukunft? Auf welche Trends können sich Unternehmen einstellen?

Die Pandemie hat uns aus der Bahn geworfen und gleichzeitig als Katalysator gewirkt. Verknappungen bei Material und Transportkapazitäten gehören zu den wesentlichen aktuellen Herausforderungen. Die größten Herausforderungen liegen also in der Beruhigung des überschwungenen und damit aufgeschaukelten Systems und dem sozio-ökonomischen Strukturwandel. Einen weitreichenden Wandel werden wir auch im gemeinsamen Arbeitsleben erfahren, das durch Digitalisierung, Homeoffice und Smart Office getrieben wird. Daraus resultieren Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und veränderte Anforderungen an Führungskräfte.
Das durch Corona verdrängte Thema Umweltschutz/FFF kehrt wieder zurück. Nachhaltigkeit wird zum führenden Thema und zum Veränderungstreiber.   

Liquidität ist derzeit einer der entscheidenden Faktoren, um mit den schwankenden Rohstoffpreisen und den somit unberechenbaren Margen umzugehen. Wie können Unternehmen das Zusammenspiel zwischen dem nötigen Investment für resiliente Supply Chains und den lebensnotwendigen Budget-Puffern im Gleichgewicht halten, sodass eine neue Krise sie weniger hart trifft?

Preisschwankungen im Einkauf lassen sich über Multi Sourcing, Rahmenverträge, Langzeitplanung und Frühwarnsysteme sicherlich abfedern, aber leider nicht gänzlich vermeiden. Zumeist ist davon auch die gesamte Branche betroffen und die Weitergabe an den Kunden ist somit möglich. Resilienz in der Supply Chain ist nicht notwendigerweise mit Investition verbunden.

Die Produktion rauf- und runterzuskalieren, um der Rohstoffverknappung Herr zu werden, funktioniert in manchen Industriesektoren gar nicht. Wie können diese Branchen agiler werden?

Eine gute Methode ist es, das Augenmerk auf die Diversifizierung sowohl im Einkauf als auch im Produkt-/Portfolio-Management zu legen, um breiter aufgestellt zu sein. Das trifft vor allem auf Unternehmen zu, die sich einem Liefermonopol gegenübersehen. Diversität und Dezentralisierung helfen, für die Zukunft besser und breiter aufgestellt zu sein.

Um besser mit diesen Schwankungen umzugehen, gilt es im Personalbereich flexible Arbeitszeitmodelle einzuführen oder vorhandene auszubauen; unterstützt durch eine gute, kooperative Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat.

Skalierbare Betriebsmittel können zudem einiges abfedern. Bezüglich der Lagerhaltung und auch der Produktionsstätten werden Unternehmen agiler, wenn Sie mehr auf „Zelte statt Paläste“ bauen.

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Welche Rolle spielen die Etablierung mehrgleisiger Vertriebswege sowie die Angebotsanpassung und welche Chancen tun sich hier auf?

Durch das Internet und das Online-Business wurden traditionelle Handelsstrukturen bereits aufgeweicht, was den Herstellern den Zugang zum Consumer erleichtert und direkter ermöglicht. Die große Chance dabei ergibt sich aus der Risikostreuung und der geringeren Abhängigkeit von Großkunden. Die positiven und erwünschten Nebeneffekte sind höhere Margen beim Endkundengeschäft und die positiven Impulse aus dem unmittelbareren Kontakt zum Endkunden. Der direktere Austausch fördert damit auch die Initiation von neuen Produktideen und -verbesserungen; so kann das Unternehmen schneller auf Marktbedürfnisse reagieren.

Der Ruf nach Nachhaltigkeit wird lauter. Wie beeinflusst das Lieferkettengesetz die aktuelle Handlungsfähigkeit?

Verantwortungsbewusste Unternehmen pflegen bereits seit geraumer Zeit eine „Code of conduct“, also einen Verhaltenskodex als Teil Ihres Compliance-Management-Systems. Die Herausforderung liegt darin, die Dokumentation für ein wirksames Risiko-Management und ein System für Beschwerde-Management aufzubauen.

Für diejenigen, die bei der Wahl ihrer Lieferanten und Partner, insbesondere aus Drittländern, schon immer auf die Einhaltung eines Verhaltenskodex geachtet haben, sehe ich, abgesehen vom höheren Administrationsaufwand, keine eingeschränkte Handlungsfähigkeit.

Die Monate mit COVID haben gezeigt, dass das Entwickeln von (undenkbaren) Krisenszenarien auch in Zukunft entscheiden wird, ob alle Frühwarnzeichen rechtzeitig erfasst werden können. Wird nun also „Herumspinnen” DIE Management-Skill zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit?

Gutes Management zeichnet sich einerseits durch strategischen Weitblick und andererseits durch schnelle Handlungsfähigkeit aus. Überleben werden vor allem die Unternehmen, die dies in der Kombination miteinander beherrschen. Mit einem Resilienz-Konzept, das einzelne Desaster mit konkreten Notfallplänen abdeckt, kann man vielleicht einige Krisen abfedern und abschwächen. Aber wesentlich ist die Schaffung einer Unternehmenskultur, die die fortwährende Adaption und Anpassungsfähigkeit ermöglicht. Wir sprechen dabei, wie bereits angedeutet, von elementarem Change-Management und einer ausgereiften Fehlerkultur.

Monokulturen und starre Organisationen sind anfälliger für Störungen als breit aufgestellte, diverse und flexible Organisationen. Laut Darwin überlebt der „Fitteste“ von „to fit (engl.): passen, anpassen“ und der muss dazu auch manchmal herumspinnen.

So werden Unternehmen, die vorbereitet in die Zukunft gehen wollen, nicht darum herumkommen, einige ihrer bisher bewährten Strukturen und Methoden auf den Prüfstand zu stellen. Zum „survival of the fittest“ gehört es offensichtlich auch, aus Krisenzeiten wichtige Impulse mitzunehmen und Veränderungsbereitschaft zu zeigen, damit die Handlungsfähigkeit größtmöglich erhalten bleibt. Vielen Dank für das Gespräch.

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