Er ist einer der bedeutendsten Manager Deutschlands, maßgeblich mitverantwortlich für den heutigen internationalen Erfolg der Siemens AG und mit seinen 80 Jahren immer noch leidenschaftlicher Tennisspieler. Die Rede ist von Heinrich von Pierer.
Am 26. Januar 1941 in Erlangen geboren, scheint der Weg von Pierers ein anderer zu werden. Nach seinem Abitur am Gymnasium Fridericianum studiert er Rechtswissenschaft und Volkswirtschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Nebenher schreibt er als Sportreporter für die Erlanger Nachrichten und kassiert ein Honorar von 20 Pfennig pro Zeile. So verdient er teilweise bis zu 400 DM im Monat – damals viel Geld für einen jungen Mann. Davon finanziert er sein Studium und kann sich sogar einen VW Standard leisten. 1968 promoviert er mit der Dissertation „Teilnichtige Rechtsgeschäfte: Das Verhältnis von Parteiwille und Rechtssatz im Bereich des Paragraphen 139 BGB“ und wird wissenschaftlicher Mitarbeiter, später wissenschaftlicher Assistent, an der Juristischen Fakultät in Erlangen.
1969 tritt er eine Festanstellung bei der Siemens AG an, wo er in der Rechtsabteilung erste berufliche Erfahrungen sammelt. Von da an beginnt eine steile Karriere, die bis in die frühen 2000er Jahre dauern sollte.
Vom Kofferträger zu Mr. Siemens
In verschiedenen kaufmännischen und leitenden Stationen im Konzern lernt man – wie er selbst sagt – die Demut im Geschäft als Kofferträger des Vorstands. 1989 wird er selbst Mitglied des Vorstands. Als Heinrich von Pierer 1992 den Vorstandsvorsitz der Siemens AG übernimmt, gilt das Unternehmen als renditeschwacher, rückständiger Industrieriese, dem der erste Verlust der Konzerngeschichte droht. Mit massiven Umstrukturierungen und Abspaltungen von Konzernteilen schafft er jedoch die Wende, holt den Betriebsrat und sogar die Gewerkschaften ins Boot.
„Die Priorität war damals Geld zu verdienen und Arbeitsplätze zu sichern“, äußert sich von Pierer über die Anfangszeit im Siemens-Vorstand. Als bekennender Anhänger der sozialen Marktwirtschaft interessiert er sich anfangs kaum für Aktienkurse und Börsenwerte. Auch in seinen späteren Jahren versucht er immer wieder, dem wachsenden Druck der Finanzmärkte zu widerstehen.
In den darauffolgenden 13 Jahren prägt der bodenständige Franke, den das Manager Magazin einmal als „Der gute Mensch aus Erlangen“ bezeichnete, das Unternehmen wie kein anderer und führt es in die Neuzeit. Bis heute hat ihm das den Ehrentitel Mister Siemens eingebracht.
Doch damit ist seine Erfolgsgeschichte noch lange nicht zu Ende. Heinrich von Pierer verfolgt nämlich nicht nur wirtschaftliche Ziele, sondern auch eine politische Laufbahn. Diese beginnt 1972 im Erlanger Stadtrat, wo er bis 1990 die CSU Erlangen vertritt. Später wird er Berater von Helmut Kohl und Gerhard Schröder sowie Leiter des Rats für Innovation und Wachstum. Den Wahlkampf von Angela Merkel begleitet er als wirtschaftspolitischer Chefberater. Merkel will ihn sogar zum Wirtschaftsminister machen.
In dieser Zeit übernimmt auch er zahlreiche Aufsichtsratsmandate, unter anderem bei Bayer, Hochtief, Münchener Rück, VW und der Deutschen Bank und später auch bei der wohl wichtigsten türkischen Firma, der Koc Holding, und der Berenberg Bank in Hamburg. Von 1993 bis 2006 ist er Vorsitzender des Asien-Pazifik-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft.
Auf dem Höhepunkt seiner beruflichen und politischen Laufbahn beendet er 2005 im Alter von 64 Jahren seine Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender der Siemens AG und wechselt im direkten Anschluss in den Aufsichtsratsvorsitz, was sich im Nachhinein als problematisch herausstellt. Denn der Wechsel ist nicht in voller Übereinstimmung mit dem Corporate Governance Kodex, der solch einen direkten Wechsel eigentlich ausschließt. Allerdings wird dieser von den Aktionären ausdrücklich begrüßt und entspricht der Siemens Tradition.
Seine Zeit im Aufsichtsrat der Siemens AG sollte nicht lange dauern: 2007 tritt Heinrich von Pierer vom Aufsichtsratsvorsitz zurück, da im Zuge der Schmiergeldaffäre auch Vorwürfe gegen ihn erhoben werden. Bestätigt werden diese nicht, dennoch zahlt er 2010 im Rahmen eines Vergleichs an den Konzern 5 Millionen Euro – um sich, seiner Familie, aber auch dem Unternehmen einen langen und nervenaufreibenden Prozess zu ersparen.
Ruhestand? Von wegen.
Rückblickend war das für den erfolgreichen Manager die schwerste Zeit seines Lebens, doch heute ist er nicht nur mit sich wieder im Reinen. Auch das Verhältnis zu Siemens hat sich wieder erholt – so bekommt er zu seinem 80. Geburtstag vom Konzern warmherzige Grüße, die seine Leistung als jahrelanger Vorstand würdigen.
Und obwohl von Pierer mit seinen 80 Jahren längst seinen wohlverdienten Ruhestand genießen könnte, denkt er noch gar nicht ans Rentnerdasein. Stattdessen lässt er als Unternehmensberater Manager und Führungskräfte an seinem reichen Erfahrungsschatz teilhaben.
Seit 2006 ist er außerdem Honorarprofessor an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und hält im Sommersemester 2021 bereits zum 30. Mal ein Seminar, dieses Mal zum Thema „Strategien der Nachhaltigkeit am Beispiel von BMW, Siemens Energy, ThyssenKrupp und Voestalpine“.
Und er hat noch viel vor. Ein großer Teil seines Privatlebens wird durch den Tennissport bestimmt. Diese Leidenschaft war schon immer da. Mit 18 Jahren gewinnt er die bayerische Jugendmeisterschaft, auf dem Tennisplatz lernt er seine Frau Annette kennen. 2021 spielt er seine 71. Saison in Folge als Tennis-Verbandsspieler.
Außerdem erscheint in diesem Jahr sein Buch „Die Kunst des Machbaren. Lehrreiches und Heiteres aus dem Leben eines Topmanagers“. Ob er sich dann den Ruhestand gönnt? Das bleibt abzuwarten.
Am 20. Juli ist Heinrich von Pierer zu Gast beim UnternehmerTALK und spricht gemeinsam mit Arnold Weissman über seine Erfahrungen als Top-Manager und die Fähigkeit, mit Fehlern umzugehen.