Die Märkte sind volatiler geworden und verändern sich rasant. Kunden verlangen neue Lösungen für ihre ‘Probleme’. Agile und digital aufgestellte Start-ups, Wettbewerber aus der eigenen oder aus anderen Branchen, sowie clevere Konkurrenten haben das erkannt und stellen mit digitalen Lösungen bzw. Geschäftsmodellen ganze Branchen auf den Kopf. Wer weitermacht wie bisher und digitale Technologien ignoriert oder halbherzig nutzt, wird im harten Wettbewerb auf der Strecke bleiben.
„Auf Veränderung zu hoffen, ohne selbst etwas dafür zu tun,
ist wie am Bahnhof zu stehen und auf ein Schiff zu warten.“
(Albert Einstein)
Die meisten etablierten Unternehmen haben das erkannt und beginnen zu digitalisieren. Viele tun dies, ohne die Digitalstrategie mit ihrer Unternehmensstrategie zu verzahnen. Sie digitalisieren um der Digitalisierung willen, ohne konkrete Ziele zu verfolgen, und realisieren infolgedessen keine konkreten Mehrwerte. Andere bleiben bei den ersten Schritten der Digitalisierung stecken: Sie digitalisieren ihre internen Prozesse, bringen vielleicht Produkte mit digitalen Features auf den Markt – aber sie schrecken davor zurück, ihre Geschäftsmodelle zu digitalisieren.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Manche scheuen die finanzielle Investition mit ungewissem Ausgang, andere haben nicht die erforderlichen Kompetenzen im Unternehmen. Bei wiederum anderen erkennt das Management die Dringlichkeit nicht, solange das altbewährte Geschäftsmodell gute Gewinne einbringt. Darüber hinaus fürchten Geschäftsführung und Management die Veränderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, denn diese Veränderungen betreffen das ganze Unternehmen.
Mit dem 4-Phasen-Modell zum digitalen Geschäftsmodell
Das von Prof. Dr. Arnold Weissman und mir in unserem Buch “Familienunternehmen der Zukunft” vorgestellte 4-Phasen-Modell ist aus der Praxis für die Praxis entstanden. Es beschreibt eine Vorgehensweise, die es Familienunternehmen ermöglicht, den Weg zu digitalen und/oder disruptiven Geschäftsmodellen unter Berücksichtigung ihrer besonderen Werte und Kultur zu gehen.
Die vier Phasen des Modells basieren auf der Notwendigkeit, das eigene Geschäftsmodell auf den Prüfstand zu stellen und herauszufinden, ob es den Markt- bzw. den Kundenanforderungen genügt. Die ‘Kontinuierliche Weiterentwicklung’ darf deshalb nicht als fünfte Phase verstanden werden, denn sie ist eine nicht endende Notwendigkeit.
Phase I: Umweltanalyse
In jeder Strategieentwicklung machen Sie in Ihrem Unternehmen eine Marktanalyse. Entsprechend sollten Sie die Umweltanalyse verstehen und die Marktseite, Kunden sowie den Wettbewerb intensiv im Hinblick auf Digitalisierung und Disruption betrachten.
Phase II: Disruptive Ideengenerierung
Im Mittelpunkt der Ideengenerierung sollten immer Ihre Kunden mit den ‘Pain Points’ stehen, die Sie in der Umweltanalyse identifiziert haben. Hinterfragen Sie, wie Ihr Unternehmen durch ein Geschäftsmodell ‘angegriffen’ werden könnte, indem es Kunden bessere Lösungen bietet. Die tatsächlichen Schmerzpunkte der Kunden sind der Startpunkt agiler Innovation, nicht die Innensicht der Entwicklungsabteilung oder die Sichtweisen des Managements.
„Letztlich hatte sich der Kunde schon lange für den digitalen Weg entschieden.
Der Kunde wünschte sich eine Plattform, um seine Beschaffung komplett zu
digitalisieren und seine Prozesse zu optimieren.“
(Heiko Onnen, Geschäftsführer der WUCATO Marketplace GmbH)
Nutzen Sie bei der disruptiven Ideengenerierung und Geschäftsmodell-Entwicklung agile Methoden wie Lean Start-up und Build – Measure – Learn. Arbeiten Sie mit dem Kunden.
Phase III: Disruptive Geschäftsmodell-Entwicklung
In dieser Phase geht es darum, aus den in Phase II gewählten Ideen ein Geschäftsmodell zu entwickeln. Sie werden zunächst an einer kleinen Auswahl von Kunden getestet (Prototyping). Lässt sich damit die Idee positiv validieren, wird ein Minimum Viable Product (MVP) erstellt und breit am Markt getestet. Erst wenn dieser Test positiv verläuft, wird das Geschäftsmodell optimiert und implementiert.
Phase IV: Geschäftsmodell-Implementierung
Ob Sie nun planen, das neue Geschäftsmodell in einer Ausgründung oder im Unternehmen zu realisieren – Sie müssen dafür sorgen, dass es wirklich implementiert wird. Dafür brauchen Sie Konsequenz und klare Ziele für jeden Mitarbeitenden und jedes Team. Wichtig: Sie müssen den Fortschritt der Umsetzung messen können.
Es geht um Menschen – nicht um Technologien
Die drei phasenübergreifenden Faktoren sind die Basis des 4-Phasen-Modells zur Entwicklung digitaler und/oder disruptiver Geschäftsmodelle. Strategie, Kultur und Organisationsstruktur werden sich kontinuierlich verändern müssen, damit neue digitale Geschäftsmodelle umgesetzt werden. So wichtig Strategie und Organisation sind, der Unternehmenskultur sollte die höchste Aufmerksamkeit gelten.
Wenn es Ihnen ernst ist mit dem neuen Geschäftsmodell, sollten Sie sich bewusst sein, dass es Ihr Unternehmen verändern wird, und Sie dieser Entwicklung Rechnung tragen müssen. Im Grunde genommen handelt es sich um einen riesigen Change-Prozess, um eine Transformation, die von Ihnen als Führungsperson eng begleitet werden muss.
„Culture eats strategy for breakfast.”
(Peter Drucker)
Bei der Digitalisierung geht es um Menschen, wie sie miteinander arbeiten, wie sie denken. Ein Veränderungsprozess im Ausmaß der digitalen Transformation stellt das gesamte Mindset der Organisation und jedes Einzelnen mehr oder weniger zur Disposition.
Eine Änderung der Unternehmenskultur lässt sich nicht verordnen, sie muss sich entwickeln, kontinuierlich und konsequent gefördert werden. Das ist ein riesiger Change-Prozess, der die Führungskultur einschließt. Von der Führungskultur hängen Motivation, Leistung und Erfolg der Mitarbeitenden ab. Wenn sie sich nicht entsprechend ändert, werden sich auch Kommunikation, Fehlertoleranz, Verantwortungsbewusstsein und Entscheidungskompetenz nicht entwickeln. Wenn sich die Unternehmensführung Neuem gegenüber verschließt, werden auch die Mitarbeitenden nicht offen für Neues und Veränderung sein. Doch genau diese Offenheit ist unabdingbar für die Entwicklung digitaler und disruptiver Geschäftsmodelle.
Die Lösung: Gründung unabhängiger Einheiten
Die Unternehmenskultur zu verändern, kann Jahre dauern. So viel Zeit hat heute kein Unternehmen, das wettbewerbsfähig bleiben will. Das Dilemma kann gelöst werden, wenn für die Entwicklung und Implementierung digitaler Geschäftsmodelle eine von der Kernorganisation unabhängige Digitaleinheit, ein Start-up bzw. Spin-off gegründet wird.
Die Vorteile:
- Die vom Unternehmen unabhängige Einheit kann ihr Team selbst zusammenstellen, auf externe Experten zugreifen, sofort agil arbeiten und auf den Kunden fokussieren.
- Die Einheit kann der Unternehmensgröße angepasst werden.
- Das Unternehmen kann weitere Investoren mit ins Boot holen, ohne seine Unabhängigkeit aufs Spiel zu setzen. Das finanzielle Risiko wird vermindert.
- Reputationsschäden können vermieden werden, da die Einheit unabhängig agiert.
- Junge Nachfolgerinnen und Nachfolger, die meistens selbst Digital Natives sind, finden möglicherweise in einem Start-up eine eigene unternehmerische Aufgabe und können damit Motor für den Change werden.
- Im Austausch mit der unabhängigen Einheit können die positiven Aspekte der Digitalisierung und agiler Arbeitsweisen in das etablierte Unternehmen getragen werden. Damit kann die Einheit auch als Beschleuniger einer Kulturveränderung wirken.