Wissenschaftler unterschiedlichster Fachbereiche haben schon vor vielen Jahren besorgt auf die Verkehrssituation in deutschen Großstädten geblickt. Mit der starken Zunahme an Privatfahrzeugen in einer dafür unzureichenden Infrastruktur und der einhergehenden Belastung für Mensch und Umwelt sind Begriffe wie „Verkehrskollaps“ oder „Blechlawine“ zu Alltagsbegriffen geworden. Vor allem in großen Ballungsräumen fordern Experten deshalb schon lange eine strukturelle Mobilitätswende. Doch was tut sich seitdem im Land der Autobauer? Überaus wenig, was die trockenen Zahlen des statistischen Bundesamts beweisen: Die Zahl der Autos steigt und steigt und steigt.
Eine vielversprechende Lösung, die vor allem durch private Anbieter in den letzten Jahren immer weiter vorangetrieben wurde, ist das Carsharing, also das kollektive Nutzen von Fahrzeugen im Alltag. Mit über 220 Anbietern und mehr als 25.000 bereitgestellten Fahrzeugen (Stand heute, Tendenz stark steigend) lässt sich deutschlandweit durchaus ein signifikanter Trend beobachten. Aber bringt dieser auch wirklich die gewünschten Effekte und lohnt sich Carsharing für Privatpersonen überhaupt?
Weg vom Individual-Verkehr
Carsharing ist bei weitem keine neue Idee. Bereits seit Ende der 80er-Jahre versuchten Anbieter in größeren deutschen Städten Fuß zu fassen, so etwa in Berlin. Die Inspiration dafür kam aus anderen Ländern wie Frankreich, der Schweiz oder den USA, wo gemeinschaftliche Autonutzung schon weitaus früher populär wurde. Hierzulande fristete das Konzept lange ein Nischendasein. Doch mit der fortschreitenden Digitalisierung änderten sich die Bedingungen für Anbieter grundlegend zum Positiven, was in jüngster Vergangenheit einen regelrechten Boom auslöste – allein 2019 kamen in Deutschland 45 neue Marktteilnehmer hinzu. Dabei dringen diese auch vermehrt in kleinere Städte und ländlichere Regionen vor.
Meist geht die Nutzung eines Carsharing-Angebots mit einem Account oder einer Mitgliedschaft beim jeweiligen Anbieter einher. Die Buchung wird via App, Website oder Telefon abgewickelt, das Auto selbst wird durch eine Chipkarte für Mitglieder oder ganz einfach über das Smartphone geöffnet. Die Schlüssel befinden sich im Handschuhfach, gelegentlich auch in speziellen Schlüsseldepots. Die Bezahlung erfolgt in der Regel über eine Abbuchung vom hinterlegten Konto des Kunden. Die Kosten berechnen sich ausschließlich aus der Dauer der Nutzung bzw. den zurückgelegten Kilometern, in manchen Fällen ist die Mitgliedschaft mit einer regelmäßigen Gebühr verbunden – Kosten für Kraftstoff, Versicherung, Wartung, TÜV, etc. entfallen gänzlich.
Wo sich das gewünschte Fahrzeug befindet, hängt vom System des Anbieters ab. Bei stationsbasiertem Carsharing muss der Nutzer das Fahrzeug nach der Fahrt wieder an einen festen Standort zurückbringen, dafür ist diese Variante aber besonders günstig. Etwas teurer, allerdings auch deutlich flexibler ist das sogenannte Free-Floating, bei dem die Fahrzeuge an einem beliebigen Ort innerhalb des Nutzungsgebietes abgestellt werden dürfen. Diese „spontane“ Variante ist bisher hauptsächlich auf Großstädte ausgerichtet. In jedem Fall kann der Nutzer den Standort digital orten.
Echte Alternative oder alles heiße Luft?
Die Idee hinter Shared Mobility klingt zunächst durchaus reizvoll. „Carsharing als vierte Säule des Umweltverbundes – neben ÖPNV, zu Fuß gehen und Rad fahren – entlastet die Umwelt, schont den Geldbeutel, spart Ressourcen und leistet einen Beitrag zur Energieeinsparung im Verkehr.“ So heißt es im Statement des Umweltbundesamts. Sind wir also bereits in einer smarten Zukunft angelangt? Der Blick in die Realität offenbart ein anderes Bild.
Studien belegen, dass Carsharing trotz gesteigerter, öffentlicher Wahrnehmung nach wie vor nur einen sehr geringen Prozentsatz am Verkehrsaufkommen ausmacht. Der Anteil privater Pkw wächst hingegen weiter und daran sind nach Aussagen von Experten nicht die Carsharing-Anbieter schuld, sondern in erster Linie die Bevölkerung. Denn diese nutzt Carsharing zu großen Teilen nur gelegentlich oder als Zwischenlösung und verlässt sich überwiegend lieber auf ein eigenes Auto. Dass dies weder dem Verkehrsproblem noch der Umweltbelastung entgegenwirkt, bedarf keiner weiteren Ausführung. Erst wenn Carsharing als dauerhafte Alternative wahrgenommen würde, könnten spürbare Effekte messbar werden. Ist das Auto-teilen also nicht attraktiv genug?
Anbieter und Verkehrsexperten sehen hier direkten Handlungsbedarf bei der Politik – z.B. indem das Parken privater Fahrzeuge auf öffentlichen Flächen teurer wird. Immerhin dürfen Kommunen seit Inkrafttreten des „Carsharing-Gesetzes“ im Jahr 2017 extra Stellplätze nur für Carsharing-Fahrzeuge ausweisen, doch wird dies bisher nur unzureichend umgesetzt. Insgesamt müsse der Trend in den Städten dahin gehen, den öffentlichen Raum für private Pkw Schritt für Schritt einzugrenzen.
Kann man durch Carsharing Geld sparen?
Privat-Fahrzeug vs. Kollektiv-Fahrzeug: Ein essenzieller Faktor, der in der Diskussion zum Thema Carsharing viel zu häufig nur eine Randnotiz einnimmt, die individuelle Entscheidung aber stark beeinflusst, ist der Kostenfaktor. Denn wirklich günstiger wird es für einen Carsharing-Nutzer bisher nur dann, wenn die Gesamtzahl der jährlich gefahrenen Kilometer und die Nutzungszeiten unter der Rentabilitätsschwelle liegen. Dafür ist ein Gegenrechnen der Ausgaben für die Nutzung eines Carsharing-Angebots und den etwaigen Kosten eines Privatfahrzeugs wie Anschaffungskosten, Steuer, Versicherung oder Reparaturen notwendig.
Abhängig von den Tarifen verschiedener Anbieter kommen Modellrechnungen meist zu einem Ergebnis um die 10.000 Kilometer. Wer mehr fährt, ist mit einem privaten Pkw meist besser dran. Wer allerdings nur 5.000 Kilometer unterwegs ist, spart jährlich bis zu 1.500 Euro, wenn er ein Auto mit anderen teilt.
Kommt das flächendeckende E-Carsharing?
Spätestens seitdem die Elektromobilität durch Politik und Öffentlichkeit zu einem wichtigen Teil der grünen Zielvereinbarung geworden ist, stehen auch die Carsharing-Anbieter vor einer großen Herausforderung. In der Theorie scheinen emissionsfreie Kollektiv-Fahrzeuge natürlich ein überaus wirksames Mittel gegen die Umweltbelastung in den Städten zu sein. Doch während die Politik bereits Druck ausübt, warnen Fachleuchte vor den enormen Kosten, die mit einer E-Flotte verbunden sind.
Weil die Anschaffung von E-Autos aktuell noch deutlich teurer ist als bei Verbrennern und sich die Ladeinfrastruktur noch weit entfernt davon befindet, was man als Optimum bezeichnen könnte, entstehen hier ungeahnte, finanzielle Risiken für die Anbieter. Zwar steigen viele von ihnen schon jetzt sukzessiv auf E-Carsharing um, rechnen würde sich das aber bisher nicht. Lange Ladezeiten sorgen dafür, dass weniger Autos zur Verfügung stehen. Dazu kommt, dass die Ladestationen überwiegend von den Betreibern selbst finanziert werden müssen, da nur öffentliche Ladestandorte von staatlicher Hand unterstützt werden. Ein weiterer Knackpunkt: Gerade im Free-Floating müssen die Fahrzeuge immer wieder von Mitarbeitern zu den Ladestationen gebracht werden, was weitere Betriebskosten verursacht.
Alles in allem könne sich das E-Carsharing frühstens in zwei, drei Jahren lohnen und auch nur dann, wenn der Staat den Anbietern hinreichend unter die Arme greift und die Ladeinfrastruktur ausreichend ausgebaut ist. Bis dahin wird E-Carsharing eine Nische in der Nische bleiben.
Ausblick: Autonomes und ferngesteuertes Carsharing
Ein anderer spannender Aspekt, der den Carsharing-Markt der Zukunft beeinflussen könnte, ist das autonome Fahren. Schon jetzt laufen zahlreiche Tests mit selbstfahrenden Pkw, doch sind die vielen sicherheitstechnischen und rechtlichen Fragen in Deutschland noch nicht ausreichend beantwortet. Ein Trend, der laut Experten weitaus schneller ins Rollen kommen könnte, ist das ferngesteuerte Carsharing – derzeit erprobt durch den Anbieter Vay in Hamburg und Berlin.
Dessen Fahrzeuge sind mit mehreren 360°-Kameras ausgerüstet, wodurch eine fahrerlose-Navigation ermöglicht wird. Gesteuert werden die Autos durch einen Mitarbeiter am Computer, der via 4G-Übertragung der Kamerabilder einen Rundumblick erhält. Dies soll allerdings nicht den Fahrer selbst ersetzen. Der Nutzer bestellt einen Wagen, Vay steuert das Fahrzeug autonom zu dessen Standort, von wo der Nutzer selbst weiterfährt. Am Zielort angelangt, steigt der Nutzer aus, ohne einen Parkplatz finden zu müssen, denn der Mitarbeiter am Computer steuert den Wagen dann zum nächsten Interessenten. In Hamburg könnte dieses Konzept schon bald zur Realität werden.