In diesem Artikel geht es nicht um kleine digitale Projekte oder die Digitalisierung von Prozessen, sondern um neue, digitale Geschäftsmodelle. Digitale Geschäftsmodelle spielen in einer anderen Liga als digitale Projekte oder kleinere Geschäftsmodellveränderungen. Warum? Weil sie oft das Potenzial haben, bestehende Geschäftsmodelle nicht nur zu verändern, sondern auch zu kannibalisieren.
Oft beginnen digitale Geschäftsmodelle in Familienunternehmen inhouse als Projekt – meist noch nicht einmal mit der Absicht, ein völlig neues Geschäftsmodell zu entwickeln. Häufig sind es aktuelle Trends und Marktveränderungen, die die Unternehmensführung dazu veranlasst, das bisherige Geschäftsmodell zu hinterfragen, den Kunden neue Angebote zu machen, neue Vertriebswege zu finden und ähnliches mehr.
Die Digitaleinheit als Sprungbrett
Viele Unternehmen setzen auf eine Digitaleinheit, um neue digitale Geschäftsmodelle voranzutreiben. Wenn die Führung klug ist, besetzt sie dieses Team nicht nur mit Mitarbeitenden, sondern auch mit externen Experten, die das notwendige digitale Know-how und frische Perspektiven mitbringen. Die eigene IT kann eine solche Aufgabe meist nicht zusätzlich zum Tagesgeschäft übernehmen und ist zu sehr in die Prozesse des Unternehmens eingebunden.
Lassen wir das ‚Wie‘ außen vor und gehen wir davon aus, dass die Digitaleinheit außerordentlich gut funktioniert und die Unternehmensführung mit dem Vorschlag eines digitalen Geschäftsmodells überrascht. Die meisten von Ihnen wissen bereits, dass es so weit wahrscheinlich nur kommt, wenn das Digitalteam unabhängig von der Kernorganisation agieren kann und mit agilen Methoden arbeitet.
Grünes Licht für das digitale Geschäftsmodell – was kommt als Nächstes?
Angenommen, die Unternehmensführung gibt grünes Licht, das neue digitale Geschäftsmodell wird am Markt getestet und es zeigt sich als marktfähig. Dann stehen entscheidende Weichenstellungen an. Doch welche Option ist die richtige für die nächste Phase?
- Die Digitaleinheit damit beauftragen, das neue Geschäftsmodell umzusetzen? Ist sie das richtige Team dafür?
- Einen neuen Geschäftszweig gründen, der das digitale Geschäftsmodell intern weiterverfolgt? Gibt es im Unternehmen die richtigen Leute dafür? Findet sich im Unternehmen der entsprechende Spirit für ein solches Unterfangen?
- Eine 100-prozentige Tochter gründen mit einem Geschäftsführer aus den eigenen Reihen?
- Das neue Geschäft verkaufen? Schafft sich das Unternehmen damit neue Konkurrenz?
Unabhängig und agil: Die Vorteile einer Ausgründung auf einen Blick
Experten empfehlen eine Ausgründung, sobald ein digitales Geschäftsmodell evaluiert und für marktfähig befunden wurde. Dieser Ansatz bietet zahlreiche Vorteile – nicht nur für die Ausgründung selbst, sondern auch für die Kernorganisation:
- Das interne Digitalteam bleibt bestehen und kann sich neuen Projekten zuwenden. So wird der Innovationsprozess in der digitalen Transformation kontinuierlich vorangetrieben.
- Das Team für das neue Unternehmen wird frisch zusammengestellt und entspricht exakt den Bedürfnissen der Ausgründung.
- Das neue Unternehmen kann sich unbelastet von den Regeln der Kernorganisation entwickeln und seine eigene Kultur finden.
- Die finanzielle Belastung für die Kernorganisation wird gesenkt, weil für das Start-up Investoren an Bord geholt werden können.
- Externe Investoren bieten der Ausgründung erweiterte Entwicklungsmöglichkeiten und eventuell zusätzliches Know-how.
- Wenn das neue Geschäftsmodell scheitert, entstehen für die Kernorganisation keine Reputationsschäden.
- Die Ausgründung kann zum Betätigungsfeld für die Nachfolger werden.
Warum? Ein neues digitales Geschäftsmodell erfordert andere Arbeitsweisen und eine andere Kultur. Das lässt sich nicht von heute auf morgen in einem etablierten Unternehmen verwirklichen. Unternehmensausgründungen mit einem neuen Team schaffen die nötigen Freiräume. Sie sollte anderen Investoren offenstehen, denn das hat sowohl für das weitere Wachstum der Ausgründung als auch für die Kernorganisation Vorteile.
Wann? Die Ausgründung sollte spätestens dann erfolgen, wenn das digitale Geschäftsmodell am Markt getestet und für marktfähig befunden wurde. Manchmal empfiehlt sich sogar eine frühere Ausgründung, zum Beispiel, sobald das Geschäftsmodell an ausgesuchten Kundengruppen getestet und validiert wurde.
Damit die Ausgründung ein Erfolg wird
Unabhängig davon, ob Unternehmen für ein neues digitales Geschäftsmodell eine 100prozentige Tochter gründen oder Investoren mit an Bord holen, gibt es einige Aspekte, die Sie unbedingt berücksichtigen sollten.
Flexibilität statt Kontrolle: Neue digitale Ventures brauchen Freiheit
Der wichtigste Erfolgsfaktor für eine Ausgründung mit einem neuen digitalen Geschäftsmodell ist Unabhängigkeit von der Mutter. Diese Notwendigkeit zur Unabhängigkeit beginnt nicht erst mit der Ausgründung, sondern bereits in der Digitaleinheit. Eine solche Einheit oder eine ausgegründete digitale Tochter in die Prozesse und Vorschriften der Mutterorganisation einzubinden, bedeutet, das neue Venture zu knebeln. Es kann sich nicht entfalten in einer Kultur der Präzision und Perfektion. Flexibilität und Agilität gehen verloren, die Ziele der Digitaleinheit oder der Neugründung können nicht erreicht werden. Viele Unternehmen bevorzugen deshalb sogar die räumliche Trennung der Digitaleinheit von der Kernorganisation.
Nun wird vermutlich kaum eine Unternehmerin oder ein Unternehmer die Zukunft des Unternehmens in die Hände eines Digitalteams legen wollen. Es sollte allerdings sehr gut überlegt werden, wie sich die Geschäftsführung in das neue Venture oder das Digitalteam einbringt. Was die Geschäftsführung keinesfalls tun sollte, ist, sich in das Tagesgeschäft einmischen. Sorgen Sie für offene Kommunikationskanäle. Bei einem kleinen Unternehmen kann das ein direkter Draht zwischen Geschäftsführung und der Ausgründung sein. Bei größeren Unternehmen kann man diese Aufgabe einem Leiter digitale Innovation oder einem Lenkungskreis anvertrauen.
So stärkt die Geschäftsführung digitale Transformation
Außerdem brauchen Digitalteam und Ausgründung die Unterstützung der Geschäftsführung. Sie muss hinter diesem Team bzw. der Ausgründung stehen und damit hinter der digitalen Transformation. Die Mitarbeitenden in der Kernorganisation müssen wissen, warum ein neues oder ein verändertes digitales Geschäftsmodell notwendig ist und weshalb sich etwas ändern muss. Alle müssen erkennen, dass die Veränderung notwendig ist und man sie nicht durch Aussitzen oder Ablehnung verhindern kann. Nur dann besteht die Chance, Zustimmung und Engagement zu erreichen.
Fazit
Unternehmensausgründungen sind ein zentraler Hebel, um digitale Geschäftsmodelle erfolgreich zu entwickeln und zu skalieren. Doch ohne klare Führung, Unabhängigkeit und eine Kultur der Agilität bleibt ihr Potenzial ungenutzt. Jetzt ist die Zeit, mutig zu handeln – für die Zukunft Ihres Unternehmens.